Analyseträume
Auszugsweise
möchte ich an dieser Stelle etwas aus meinem Buch
"Analyseträume" vorstellen. Es handelt
sich um Träume, die im Verlauf einer
psychoanalytischen Behandlung tatsächlich so geträumt
und jeweils aufgeschrieben wurden, um sie nicht
gleich wieder zu vergessen, denn es ist eine
allgemeine Erfahrung, dass Träume leider entweder
gar nicht erinnert werden oder sehr schnell wieder
aus dem Gedächtnis entschwunden sind. Man hatte
sogar einen Notizblock auf dem Nachttisch liegen,
um bei nächtlichem Erwachen etwas soeben Geträumtes
gleich festzuhalten, wenigstens in Stichworten. Am
nächsten Tag konnte man ergänzend den gesamten
Traum notieren. Leider sind die Aufzeichnungen
recht rudimentär, denn sie sollten nur dazu
dienen, die nächtlichen Vorgänge für die
darauffolgende Analysesitzung bereitzustellen, als
Erinnerungshilfe. Dass mehr als 30 Jahre später
ein Buch daraus werden sollte, war zu diesem
Zeitpunkt natürlich nicht abzusehen. In dem Falle
hätte man sicherlich ausführlicher und
assoziativ erweitert dokumentiert. Damals war das
viele Träumen und Aufschreiben aus einer Not
heraus entstanden: Was soll man dreimal die Woche
auf der Couch liegend dem Analytiker erzählen,
der selbst überwiegend schweigsam hinter einem saß
und nur gelegentlich orakelhafte Äußerungen von
sich gab? Vergangenes war irgendwann erschöpfend
ausgeführt worden, und aktuelle Geschehnisse
wurden zwar in aller Breite gewürdigt, boten aber
dennoch nicht immer genügend Stoff, um die gefürchteten
„Leerzeiten“ zu füllen. Es war demnach die
Angst vor dem Schweigen, vor dem Verstummen, die
ausreichend dazu motivierte, vermehrt auf das
Unbewusste zu lauschen, das sich eben vorwiegend
mittels der Träume, in verschlüsselter Form
offenbart. Leider ist nicht mehr in Erinnerung und
wurde auch nicht schriftlich fixiert, welchen
Initialtraum ich in der Analyse vortrug. Es war
mir zum damaligen Zeitpunkt wohl auch noch nicht
bekannt, welche besondere, prospektive Bedeutung
ein solcher als Erstes in einer
psychotherapeutischen Behandlung erzählter Traum
besitzt. Oft enthält er in verschlüsselter Form
programmatisch den abzusehenden Verlauf der
Analyse oder des bevorstehenden
Entwicklungsschrittes. Gehen wir deshalb einfach
chronologisch vor und beginnen mit dem ersten
dokumentierten Traum, der irgendwann in der
Anfangsphase der Analyse im Herbst 1980 geträumt
worden war. Er handelt von einem Gemeindepfarrer,
der während der Jugendzeit eine besondere Rolle
als Vorbild und Förderer gespielt hatte, und
dessen Haushälterin, die im Traum verstorben ist
und in einem seltsamen Begräbnis, ohne
„Zeremonie“ bestattet wird. Der Leichnam sieht
aus wie eine Puppe. Es stellt sich die Frage, wer
die Bestattung vornimmt, also welcher Geistliche.
Folgende Einfälle oder Assoziationen kommen in
Frage: Der Pfarrer ist verbunden mit einer Zeit
sehr starker religiöser Gefühle, Überzeugungen
und einer ausgeprägten Frömmigkeit. Er lebte mit
seiner alten Mutter und mit seiner Haushälterin
im Pfarrhaus, und man hatte mit beiden Kontakt.
Die Haushälterin war eine bescheidene, zurückhaltende
Person vom Typus „alte Jungfer“, etwas
farblos, verkniffen, verbittert, und sie stand im
Schatten des Pfarrers und dessen Mutter. Er
wiederum wurde von den beiden Frauen bemuttert und
bekocht. Dennoch wurde er als männliche und wohl
auch väterliche Person wahrgenommen und ein wenig
bewundert, auch wegen seiner recht dynamischen und
menschennahen Art. Andererseits fühlte man sich
ihm auch ein wenig überlegen, denn die eigene
religiöse Ausrichtung war damals noch strenger
und asketischer, „heiligmäßiger“ als die
seine. Man war sozusagen „päpstlicher als der
Papst“. Zwischen den beiden Frauen gab es wohl
eine gewisse Rivalität und Spannungen, ähnlich
wie zwischen einer Mutter und der
Schwiegertochter, wobei es aber keine Anzeichen
dafür gab, dass der Pfarrherr ein Verhältnis
gehabt hätte mit der Haushälterin. Die war eher
wie eine zweite, jüngere Mutter. Es war die Zeit
nach Papst Johannes XXIII. und dem 2.
Vatikanischen Konzils. In dieser Pfarrei wurden
die in kirchlicher und liturgischer Hinsicht
„modernen“ Ansätze gelebt, was aber nicht
verhinderte, dass in politischer Hinsicht sehr
konservative und rechtsgerichtete Tendenzen
vorherrschten. Der „Spiegel“ galt als des
linken und liberalen Feindes Sprachrohr, und
Sonntags wurde die „Bildpost“ verteilt, in ähnlicher
Aufmachung wie die „Bildzeitung“, aber als
katholisches Kampfblatt konzipiert. Ein Priester
und Studienrat, der ab und an der Messe vorstand
und gelegentlich auch die Sonntagspredigt übernahm,
blieb in Erinnerung als ein politischer
„Hardliner“, der vor den Wahlen unverhohlen
die CDU als einzig wählbare Partei für den
katholischen Kirchgänger empfahl und die Predigt
zur Wahlrede umfunktionierte. Zum Zeitpunkt des
Traumes hatte man längst den Glauben und die Frömmigkeit
verloren, und so erschien der Traum als Rückgriff
auf eine vergangene Entwicklungsstufe in einer
Zeit, in der zwar einerseits die Ablösung von den
Eltern verstärkt einsetzte, andererseits aber
Gott, die katholische Kirche und auch dieser
Pfarrer mit seinen zwei Frauen in gewisser Weise
als Ersatzfamilie fungierten. Die Haushälterin
hat wohl die Rolle eines Schattens und einer mütterlich
geprägten Animafigur und wird hier zu Grabe
getragen, in etwas würdeloser Art und Weise, wäre
doch zu erwarten, dass ihr Chef die Beerdigung
angemessen gestaltet, aber dies bleibt offen. Es
sind vermutlich Anteile des Selbst, die hier
absterben, auch im Zusammenhang mit der Ablösung
von den Elternfiguren und von der Kindheit und
Jugend, in sonderbarer Weise, ohne großen
„Pomp“. Es
scheint insbesondere der weibliche Seelenanteil,
also die Anima, der eine endgültige Veränderung
zu erfahren hat. Besonders interessant erscheint
aber der Umstand, dass der Kadaver wie eine Puppe
erscheint. Hier muss man etwas ausholen, um die
symbolische und psychologische Bedeutung der Puppe
zu verstehen. Der Wortursprung von lat. „pupus“,
„das Neugeborene“ erinnert an den Umstand,
dass die Puppe, auch von der üblichen Größe her
gesehen, ein Baby oder Kleinkind darstellt und bei
Mädchen überwiegend zum Mutter-Kind-Spiel
verwendet wird. Es gibt natürlich noch ganz
andere Puppen, auch in Lebensgröße, etwa
Schaufensterpuppen oder Gummipuppen, Sexpuppen,
und es gibt Puppen aus ganz unterschiedlichen
Stoffen: Stroh, Stoff, Plastik. Es gibt
Voodoo-Puppen und Vogelscheuchen, Marionetten und
Kasperfiguren. Die Jakuten in Sibirien und die
altaischen Tataren haben bei ihren
Hundeschlittenfahrten kleine Götzenpuppen als
Talisman dabei. In den Schöpfungsmythen findet
man generell die Vorstellung, dass der erste
Mensch geformt wurde aus Erde, Lehm, Speichel,
Blut und Tränen und ihm dann der Odem des Lebens
eingehaucht wurde, er also beseelt wurde. Es
findet eine Verwandlung statt, eine Metamorphose,
ähnlich wie bei Schmetterlingen, wo die Raupe
sich zur Larve „verpuppt“ , um sich später
als Falter zu „entpuppen“. Die „Puppe“
entspricht dann einem meist fast oder völlig
bewegungslosen Übergangsstadium. Der
Psychoanalytiker Donald Winnicott bezeichnet die
Spielzeugpuppe und ähnliche Dinge als „Übergangsobjekt“,
die eine Art Brücke zwischen intrapsychischen und
extrapsychischen Vorgängen darstellt. Sie dient
als Ersatz für die vorübergehend nicht anwesende
Mutter oder Bezugsperson. Die Möglichkeit des
Spiels eröffnet andere Wirklichkeiten und belebt
die Fantasietätigkeit und Imagination. Im
russischen Märchen „Wassilissa“ dient eine
Puppe als Hilfs-Ich, von der sterbenden Mutter an
die achtjährige Tochter übergeben für den Fall,
dass ihr Kummer und Leid widerfahren. Tatsächlich
steht die Puppe ihr in allen Nöten bei und
begleitet sie auf ihren Wegen. Die Puppe in
unserem Traum könnte demnach symbolisch zum Einen
für einen Wandlungsprozess stehen, für einen Übergang
von einem Lebensstadium zum nächsten. Auch im Märchen
beginnt ja für das Mädchen nach dem Tod der
Mutter ein neuer Lebensabschnitt, und die Puppe
dient als Übergangsobjekt, wobei die Ähnlichkeit
mit dem Traumbild verblüffend ist. Ähnlich wie
damals im späten Jugendalter war man zum
Zeitpunkt der Analyse auch wieder in einer Phase
des Umbruchs, der Veränderung und
Weiterentwicklung. Im Traum wird wohl der
Archetypus der Initiation aktiviert, der jeweils
mit einem Übergang zu tun hat, mit einer
symbolischen Wiedergeburt. Es werden Ängste
freigesetzt sowie Gefühle der Trauer,
insbesondere in der Übergangszeit vom Kindsein
zum Erwachsenwerden, da es ja immer auch einen
Verlust mit sich bringt, eine Entwicklungsphase
hinter sich zu lassen, loszulassen. Dies wird
durch das Symbol des Todes dargestellt. Und somit
ist dieser Traum, auch ohne der Initialtraum zu
sein, dennoch von besonderer Bedeutung.
In
einem anderen Traum stand ich vor Gericht, mit
zwei weiteren Personen. Angeklagt war ich wegen
eines Vergehens, das ich gemeinsam mit den beiden
Komplizen begangen hatte, angeblich ohne zu
wissen, dass die Handlung illegal war. Es kam zu
einer Verurteilung und zu einer inneren Auflehnung
dagegen, empfand ich mich doch als unschuldig. Man
kann an das Sprichwort denken: „Mitgefangen,
mitgehangen.“, aber ums Hängen ging es wohl glücklicherweise
nicht, und die Bestrafung bleibt ungewiss. Im
Traum wird auch nicht deutlich, was den
Beschuldigten überhaupt angelastet wurde, und so
kann man nur Vermutungen anstellen. Es geht um
Schuld, Unschuld, verlorene Unschuld, um einen
Richterspruch, eine Verurteilung und
Bestraftwerden. In Anlehnung an Theodor Reik
(„Geständniszwang und Strafbedürfnis“, 1925)
sieht es so aus, dass in uns allen ein Schuldgefühl
vorhanden ist, auch ohne irgendeine tatsächliche
Straftat. Die „Erbsünde“ bezieht sich zwar
auf ein angebliches Vergehen des ersten
Menschenpaares, einen Akt des Ungehorsams gegen
Gott, wobei dann aber von einer Kollektivschuld
ausgegangen wird. Es hat wohl mit dem kollektiven
Unbewussten zu tun, und darin sind einige
Schuldgefühle enthalten. Denke man nur an den
„Feuerraub“, der in der griechischen
Mythologie dem Prometheus angelastet wird und der
zur Strafe an einen Felsen gekettet und von einem
Adler gemartert wurde. Auch bei den
Navajo-Indianern ist vom Feuerraub die Rede, wobei
es dort ein Kojote war, der von den Göttern das
Feuer stahl. Man hatte also ein schlechtes
Gewissen, weil man der Natur sozusagen ein
Geheimnis, eine besondere Kraft entrissen hatte
und sich zu Nutzen machte. Ähnlich können wir
uns heutzutage und zu Recht schuldig fühlen wegen
des „Raubbaus“ an der Natur, indem wir deren
Schätze heben und ohne Rücksicht auf spätere
Generationen nicht nur nutzen, sondern auch
verschwenden! Es gab und gibt demnach immer etwas,
um sich schuldig zu fühlen, und genauso wurde
jeder Einzelne schuldig in seiner Kindheit, weil
er den Eltern nicht gehorchte und verbotene Dinge
tat. Das hört natürlich nach der Kindheit nicht
auf: jeder hat gelogen, betrogen, andere verletzt,
übervorteilt, hat Verkehrsregeln übertreten, bei
der Steuer geschummelt usw. Und dieses
„Sammelsurium“ führt zu einem diffusen
Schuldgefühl, das zudem durch ein allzu strenges
Über-Ich bei Einzelnen verstärkt zu einer Art
„Schuldkomplex“ sich ausweiten kann. Dies führt
wiederum, nach Theodor Reik, nicht nur zu einem
„Geständniszwang“, dass wir also alles Mögliche
durch einen unbewussten Drang auf verschiedene Art
und Weise „gestehen“, auch durch
psychopathologische Symptome oder Fehlhandlungen,
sondern ebenfalls zu einem „Strafbedürfnis“,
das entweder durch Selbstbestrafung oder die Suche
nach Bestrafung von außen befriedigt wird. Wenn
man wie ich als unerwünschtes Kind auf die Welt
kam, zu einem ungelegenen, ungünstigen Zeitpunkt,
und zumindest teilweise den Eindruck gewann, eher
eine Belastung zu sein für die Familienangehörigen,
dann kann man leicht verstehen, dass sogar das
Dasein an sich mit Schuldgefühlen verbunden ist,
stellt man doch in einem gewissen Sinn eine
Zumutung dar für die anderen und muss sich große
Mühe geben, die eigene Existenz zu rechtfertigen
und angenommen zu werden. Im Traum bin ich nicht
allein, sondern auch in einem wenn auch kleinen
Kollektiv, wobei die Drei eine besondere Bedeutung
hat als eine Ganzheit („Dreieinigkeit“), hier
passend wohl als die Gesamtheit des Seelenlebens,
mit Ich, Es und Über-Ich. Diese drei
„Instanzen“ findet man vor Gericht nochmals
wieder im Richter als Repräsentant des Ichs, in
der Staatsanwaltschaft als Verkörperung des Über-Ichs
und in der Verteidigung als Vertretung des Es. Dass ich überhaupt
vor Gericht stehe im Traum wäre demnach als Folge
des unbewussten und diffusen Schuldgefühls und
des daraus sich ergebenden Bestrafungsbedürfnisses
zu verstehen. Ein Teil von mir pocht zwar auf
Unschuld und ist revoltiert, aber es gilt das
andere Sprichwort: „ignorantia
legis non excusat“, auf deutsch:
„Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“. Es nützt
mir also leider nichts, dass ich angeblich nichts
wusste von der Illegalität oder Strafbarkeit
meines Tuns! Man kann hier auch noch an ein
weiteres Sprichwort denken: „Coram
iudice et in alto mari sumus in manu Dei“,
auf deutsch: „Vor dem Richter und auf hoher See
sind wir in Gottes Hand.“ Oder in einer anderen
Version: „Vor dem Richter und auf hoher See sind
wir allein in Gottes Hand“. Statt „Vor dem
Richter“ heißt es oft „Vor dem Gericht“. Es
geht demnach auch um ein Gefühl des
Ausgeliefertseins, ähnlich wie den Naturgewalten
gegenüber, denn die Hoffnung, „Gerechtigkeit“
zu finden vor Gericht, ist bekanntlich
illusorisch. Es gehört ebenfalls eine Portion Glück
dazu und vor allem genügend Geld, um möglicherweise
den Gang durch die Instanzen einschlagen zu können.
Im Falle einer Verurteilung kann man sich folglich
schon dagegen auflehnen, nicht nur innerlich,
sondern durch geeignete Rechtsmittel. Aber davon
ist im Traum ja nicht die Rede. Die Geschichte
erinnert übrigens an die Erzählung von Franz
Kafka „Der Prozess“ (1925), wo auch überhaupt
nicht klar wird, was dem beschuldigten Prokuristen
Josef K. überhaupt zur Last gelegt wird. Die
Dreiheit der Beschuldigten mag auch eine zeitliche
Dimension enthalten, wenn man an die Schicksalsgöttinnen
denkt oder an die dreigesichtige Hekate, wobei
einmal die Mondphasen gemeint sein können, aber
auch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, also
das gesamte Leben, das hier vor Gericht steht und
an ein vorverlegtes Jüngstes Gericht denken lässt.
Schicksal, nimm deinen Lauf!
Passend
hierzu ist ein weiterer Traum, der allerdings erst
ein Jahr später erfolgte, und ich will deshalb
das chronologische Vorgehen ausnahmsweise an
dieser Stelle aufgeben. Hier bin ich nämlich im
Gefängnis und probe den Ausbruch. Die
Verurteilung wäre demnach rechtskräftig
geworden, und ich wurde zu einer Gefängnisstrafe
verurteilt, versuche jetzt aber abzuhauen, was mir
auch gelingt durch die Mithilfe zweier Wärter,
die mir die Schlüssel geben. Unterwegs sind
Jungen zu sehen und ein Hund. Ich muss klettern,
um eine Barriere zu überwinden und ein Gewässer
zu durchqueren. Dabei sehe ich ein Kind, das auf
dem Rücken schwimmt und das ein anderes,
kleineres Kind festhält, das nicht schwimmen
kann. Ich tausche mich diesbezüglich mit den Wärtern
aus, die OK signalisieren. Im weiteren Verlauf
treffe ich den Bruder eines Freundes und bemerke,
dass die beiden sich wenig ähneln. Haben sie womöglich
zwei verschiedene Väter? Er lädt mich ein, ihn
im Gefängnis zu besuchen, um Tests zu machen. Es
kommt stattdessen aber zu „sexuellen Spielen“. Die
innere „Revolte“ hat also dazu geführt, dass
der Bestrafung ein Ende gesetzt werden soll durch
einen Ausbruch in die Freiheit. Ich bin nicht auf
mich allein gestellt, sondern habe die
Komplizenschaft zweier Wärter, die mir mittels
der Schlüssel das Öffnen der Gefängnistore ermöglichen.
Es gibt aber dennoch einige Hürden zu überwinden;
und zwar eine Art Mauer und einen Wassergraben,
den es zu durchschwimmen gilt. Dabei begegne ich
zwei Kindern, wobei das größere Kind ein
kleineres durchs Wasser zieht, möglicherweise
sogar rettet, da es nicht schwimmen kann. Später
gibt es noch eine Umkehr der Verhältnisse: Nicht
ich bin im Gefängnis, sondern ein anderer, den
ich besuchen soll, um Tests zu machen, also als
Psychologe, aber es kommt zu „sexuellen
Spielen“. Es geht folglich um Homosexualität.
Das Ganze hat natürlich erneut mit Schuldgefühlen
und einem Strafbedürfnis zu tun, aus welchen Gründen
auch immer, wobei es hier aber gleichzeitig um
einen Befreiungs- und Ausbruchsversuch geht.
Befreiung von diesem Schuldbewusstsein und Selbst-
oder Fremdbestrafungswünschen, aber auch
Befreiung von einer Einengung der Existenz oder
des Selbst, wobei das eine das andere nicht
ausschließt. Es entspräche also dem Wunsch, aus
sich herauszugehen und „freier“, autonomer zu
werden, im Sinne der Individuation und
Weiterentwicklung. Die beiden Wärter kann man
entsprechend als helfende Selbstanteile ansehen,
und die Schlüssel symbolisieren die seelischen Kräfte
und Hilfsmittel, die diesen Weg ermöglichen. Man
kann an den Mithraskult denken und den „Schlüsselkönig“
Aion, der mit gekreuzten Armen und in den Händen
jeweils einen Schlüssel haltend dargestellt wird.
C. G. Jung wies darauf hin, dass es sich um die
Schlüssel zur Unterwelt handelt, im übertragenen
Sinn also zum Unbewussten, zu Licht und
Dunkelheit, zu Vergangenheit und Zukunft. Auch der
Apostel Petrus wird als Schlüsselträger
dargestellt, und bei ihm symbolisiert der Schlüssel
die Vermittlerrolle zwischen Erde und
Himmel, zwischen den Menschen und Gott, also die
transzendente Funktion. Der
„Hierophant“,
der an der Spitze der Priester im Tempel der
Demeter in Eleusis stand, galt als der „Eröffner
der Heiligtümer“ oder „Enthüller der
heiligen Geheimnisse“ und wird teilweise mit
einem oder zwei großen Schlüsseln dargestellt,
zum Beispiel auf Tarot-Karten. Man
darf dabei
nicht
vergessen, dass die Eleusinischen Mysterien ursprünglich
mit dem „Großen Weiblichen“ verbunden waren
und insbesondere mit der wieder hergestellten
Einheit (Wiederverbindung) zwischen Mutter und
Tochter (Demeter und Kore-Persephone). So besitzen
die ägyptische Bastet und die griechische Hekate
den Schlüssel der Fruchtbarkeitsgöttinnen zum
Tor des Schoßes, zur Unterwelt, zu Tod und
Wiedergeburt. Dass die Männer durch diese
matriarchal geprägten Mysterien ebenfalls
ergriffen wurden und diese letztendlich
„usurpierten“, erklärt Erich Neumann („Die
Große Mutter“ 1974) damit, dass sie dabei mit
ihrer eigenen weiblichen Seite konfrontiert wurden
und sich mit dem „Göttlichen Kind“ der
Muttergöttin identifizieren konnten. In diesem
Zusammenhang muss man gleichfalls die (nicht nur)
im antiken Griechenland verbreitete Knabenliebe
und das Tragen von Frauenkleidern der an
verschiedenen Festen teilnehmenden Männer sehen. Auch
in der Alchemie spielen Schlüssel eine
Rolle. Sie symbolisieren die „Imaginatio“ und
öffnen die Tür zum Geheimnis des „Opus“, des
alchemischen Werkes. Schlüssel dienen auf jeden
Fall dazu, Tore und Türen zu öffnen und den
Zugang zu anderen Räumen zu ermöglichen. Nicht
unerwähnt bleiben soll, dass der Schlüssel auch
eine Rolle spielt in der Offenbarung des Johannes,
wo ein Engel mit Schlüssel zum Abgrund der Hölle
(auch vom Brunnen zum Abgrund ist die Rede) in der
einen Hand und großer Kette in der andern
vorkommt. Es geht um den Drachen, der für 1000
Jahre eingesperrt bleiben soll. Im Traum geht es
darum, herauszukommen aus der Unfreiheit und der
Abhängigkeit, und insofern könnte das Gefängnis
auch den Mutterschoß symbolisieren, und zwar
dessen einengenden und festhaltenden
Elementar-Charakter. Die zwei
Wärter bilden mit mir eine Dreiheit und
symbolisieren das männliche Selbst,
entsprechend der altägyptischen
„Reichstriade“ (Amun, Re und Ptah),
möglicherweise
versteckt dahinter auch der Psychoanalytiker, als
„Seelenführer“
und Befreier, als „Mana-Persönlichkeit“.
Die Jungen im Gefängnis und die
Kinder im Wassergraben sind ungewöhnlich und
passen eigentlich nicht hierher. Sie könnten das
eigene Selbst darstellen, in einer früheren
Entwicklungsphase, und darauf hinweisen, dass man
schon zu dieser Zeit einmal im Gefängnis war,
also eingeschlossen, unfrei, in sich zurückgezogen.
Jetzt ist aber endgültig der Zeitpunkt der
Selbstbefreiung gekommen. Es gibt sogar ein ganz
kleines Kind, das schutzbedürftig ist und noch
nicht schwimmen kann, das möglicherweise gerettet
werden muss. Ist es das „innere Kind“, das
hier dargestellt wird, das ebenfalls befreit und
in eine bessere Zukunft geführt werden soll? Der
Hund ist offenbar ein Wachhund, verhält sich aber
im Traum neutral, lässt mich ohne weiteres
passieren, vermutlich wegen der Wärter, denen er
gehorcht. Vielleicht repräsentiert er männlich-aggressive
Anteile, die beim Ausbruch gefragt sind, und somit
eine Art hilfreiche und energiespendende
Ermutigung und Begegnung. In der Mythologie steht
der Hund in Verbindung mit Opferhandlungen, etwa
beim mithraischen Stieropfer, aber ein Hund ist
auch der Begleiter des Heilgottes Asklepios oder
wie die Unterweltschlange Hüter des Schatzes.
Der
„innere Hund“ (wobei nicht der
„Schweinehund“ gemeint ist) kann zudem als
Seelenführer, als Psychopompos dienen, der uns
den Weg zur inneren Welt zeigt. Im Traum ist er
auch Begleiter eines Übergangs, einer Wandlung
und Ablösung, raus aus der Abhängigkeit in die
Eigenständigkeit. Der dunklere Aspekt es Hundes
wird in einem anderen Traum behandelt.
Das
Gefängnis und der Ausbruch findet sich in vielen
Geschichten und Filmen, auch bei politischen
Heldenfiguren wie etwa Nelson Mandela, der wegen
seiner Gesinnung und seines Freiheitskampfes einen
großen Teil des Lebens hinter Gittern verbringen
muss, später aber rehabilitiert,
Friedensnobelpreisträger und Präsident seines
Landes wird. Man kann dies als einen Archetypus
ansehen, Ausdruck der Sehnsucht nach Befreiung,
nach Autonomie, aber auch im Zusammenhang mit der
Bereitschaft, für seine Überzeugungen
einzustehen, selbst wenn es mit einer Bestrafung
und dem Eingesperrtwerden endet. Es besteht somit
eine Verbindung zum Heldenarchetypus, da der Held
immer eine Reihe von Prüfungen und Kämpfen zu
bestehen hat und auch einmal bestraft wird wegen
irgendeines Vergehens. Er muss zudem die
„Nekyia“, die „Katabasis“, also die Reise
in die Unterwelt wagen und den Kampf mit dem
Ungeheuer, um den Schatz zu heben, oder er muss
sich auf die „Nachtmeerfahrt“ begeben, vom
Dunkel des Sonnenuntergangs im Westen bis zum
Neubeginn und dem Sonnenaufgang im Osten. Die
Unterwelt und die Nacht symbolisieren das
Unbewusste, und die Abenteuer und Kämpfe des
Helden bestehen vor allem darin, sich mit den
Inhalten des Unbewussten auseinander zu setzen und
sie in das Bewusstsein zu integrieren, um so auf
dem Weg der Individuation voranzuschreiten, zu
reifen und sich weiterzuentwickeln.
Die
Gefangenschaft gehört wie der Verlust der Haare
und die Blendung (Ödipus, Simson, Horus)
symbolisch zur „oberen Kastration“ und hat mit
dem „oberen Männlichen“ zu tun. Sie ist meist
nichts Endgültiges, sondern endet wie im Traum
mit der Befreiung und dem Sieg!
Im
zweiten Teil des Traumes findet eine Umkehr statt.
Ich bin nicht mehr im Gefängnis und offenbar auch
kein entflohener Sträfling, denn sonst könnte
ich nicht den Bruder des Freundes besuchen. Auf
der Objektstufe betrachtet könnte man sich überlegen,
ob der Bruder nicht in Wirklichkeit den Freund
selbst darstellt, dem gegenüber man zumindest
unbewusst auch feindselige Gefühle hegt und dem
man eine Bestrafung wünscht. Man wäre so ja auch
in der überlegenen Position, käme als Psychologe
zum Testen, Begutachten und hätte dann auch noch
Sex mit ihm, der sich jetzt in einer abhängigen
Lage befände, was sich „in Freiheit“ wohl
nicht so einfach bewerkstelligen ließe. Die
Gedanken über die Abstammung der beiden, also ob
sie möglicherweise zwei verschiedene Väter haben
könnten, hat vielleicht mit den Fragen
hinsichtlich der eigenen Herkunft zu tun. Man war
ja selbst unehelich geboren worden und lernte den
leiblichen Vater gar nicht kennen, hatte aber später
einen Stiefvater. Anfangs war noch der Großvater
mütterlicherseits als Ersatzvater aufgetreten. Es
gab demnach schon eine erhebliche Verwirrung im
Hinblick auf diese Problematik, was zweifellos
nicht unerhebliche Auswirkungen auf die Identitätsfindung
hatte. Auf der Subjektstufe wäre die Person im
Gefängnis als Anteil des eigenen Selbst zu sehen,
der sozusagen zurückgeblieben ist im Zustand der
Unfreiheit und des Eingesperrtseins, den man jetzt
nochmals aufsucht, um ihn zu testen und zu
begutachten. Er hat offenbar mit triebhaften,
sexuellen Dingen zu tun, die so noch besser unter
Kontrolle zu halten wären und die noch nicht
ausreichend integriert sind.
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